Ein Autojahr ohne Beispiel: Käufe im Minus, Umsätze im Plus

Gaben die Bilanz 2022 und die Prognose 2023 bekannt: (v.l.) Geschäftsführer des Kfz-Verbandes Christian Metje, Präsident Karl-Heinz Bley, Obermeister Hans-Jörg Koßmann, Geschäftsführung der Kfz-Innung Bremen Anke Kuckertz. Foto: ProMotor/nds

Gesamtumsatz steigt auf 1,8 Milliarden Euro - Kleine Steigerung bei Pkw-Neuzulassungen -Kräftiges Minus für Gebrauchtwagen – Serviceumsatz mit zweistelligem Plus – Weniger Finanzierungen - Elektromobilität legt weiter zu - Verbrenner verlieren - Stabile Ausbildungs-bilanz - Vorsichtige Prognosen mit einigen Fragezeichen – Jahresstart mit Fragezeichen

Bremen. Ohne Beispiel und mit einigen Überraschungen! Das war das wechselvolle Autojahr 2022 an der Weser, das für den Markt mit einem Gesamtumsatz von 1,8 Milliarden Euro abschließen konnte. Trotz eines um 12,5 Prozent kleineren Verkaufsvolumens neuer und gebrauchter Pkw, einem Minus von 2,2 Prozent im Nutzfahrzeuggeschäft und deutlichen Einbußen im Markt der motorisierten Zweiräder, erreichten die Umsätze neue Bestmarken. Der Anteil des Kraftfahrzeuggewerbes am Gesamtumsatz stieg leicht auf 76,7 (Vorjahr: 76,5) Prozent. Karl-Heinz Bley, Präsident des Kfz-Landesverbandes Niedersachsen-Bremen, sagte vor Journalisten, deutlich gestiegene Preise für neue und gebrauchte Pkw hätten zu den Umsatzsteigerungen geführt: 43.110 Euro für neue Pkw und 19.130 Euro für Gebrauchtwagen im Durchschnitt.

Der Gesamtumsatz teile sich in 675,3 (Vorjahr: 588,8) Millionen Euro für den Neuwagenmarkt und 777,1 (Vorjahr: 774,2) Millionen Euro für das Geschäft mit gebrauchten Pkw. Mit neuen und gebrauchten Lkw sei ein Umsatz von 92,6 (Vorjahr: 94,7 Millionen Euro erreicht worden. „Ein zweiter Leuchtturm nach der Umsatzrendite in der Umsatz-Tabelle“ sei der Service, der um 10,8 Prozent auf 222 (Vorjahr: 200,4) Millionen Euro zugelegt habe.

Der auf 1,4 (Vorjahr: 1,3) Milliarden Euro gestiegene Anteil des Kfz-Gewerbes liege deshalb unter dem Gesamtumsatz, weil bei den Neuzulassungen die Hersteller noch im Geschäft seien und bei den Gebrauchten der Privatmarkt etwas mehr als ein Drittel aller Besitzumschreibungen für sich verbuchen konnte. „Wie ein heller Leuchtturm“ rage die Umsatzrendite vor Steuern aus den Tabellen. Sie sei auf 3,1 Prozent gestiegen.

Dank einer „Jahresendrallye mit explodierenden Elektro-Marktzahlen im Dezember“ liege die Jahresbilanz der Pkw-Neuzulassungen mit 0,7 Prozent über dem Vorjahresniveau. Im Dezember habe es eine Steigerung um 66,7 Prozent gegeben.

15.665 Pkw-Neuzulassungen seien mit Blick auf das letzte krisenfreie Autojahr 2019 zwar ein Rückgang um rund 25 Prozent, doch das stabile Jahresergebnis 2022 könne nach sechs negativen Monaten als eine „angenehme Überraschung“ gewertet werden.

Benziner, Diesel und erdgasbetriebene Neuwagen hätten mit minus 11,5, bzw. 11,9 und 20,0 Prozent im Autojahr 2022 bilanziert. Der Erdgas-Antrieb mit noch acht (Vorjahr: 10) Zulassungen sei der Verlierer des Jahres, während der vollelektrische Antrieb (BEV) mit plus 34,2 Prozent der Gewinner sei. Dies seien 2.459 (Vorjahr: 1.833) Verkäufe, während Plug-in-Hybride mit 3,2 Prozent Plus auf 2.258 (Vorjahr: 2.189) das Jahr abgeschlossen hätten. Im Dezember habe es eine Steigerung um 148 Prozent für Stromer und 162 Prozent für Plug-in-Hybride gegeben. Diese hohen Steigerungen resultieren aus dem Ende der „Innovationsprämie alter Art“, denn seit Jahresbeginn gebe es keine oder lediglich eine reduzierte staatliche Förderung für die Elektromobilität. Bley: „Der Run auf die staatlichen Fördertöpfe war im Dezember immens.“

Auf dem Elektroautomarkt könne ein Preiswettbewerb entstehen. Nachdem Tesla die Basispreise für ein Modell im Umfang der ehemaligen Innovationsprämie gesenkt habe, entstehe ein Preisdruck vor dem Hintergrund, dass E-Fahrzeuge ohne die bisherige staatliche Förderung zu teuer geworden seien. Stehe der Branche wieder die alte Krankheit Rabattitis ins Haus, stellte Bley die Frage. Unverändert gebe es für die Elektromobilität drei hohe Hürden. Die Preise, die Reichweite und die Ladeinfrastruktur.

Lücken in der
Ladeinfrastruktur

Das politische Ziel von 15 Millionen E-Fahrzeugen auf deutschen Straßen hieße für Bremen rund 110.000 E-Fahrzeuge. Aktuell weise der Bestand knapp 10.000 Fahrzeuge - Pkw, Lkw, Krafträder, etc. - aus. Diese müssten sich 520 öffentliche Ladepunkte teilen. Tendenz und Tempo seien schleppend und nicht ausreichend, denn bis zum Jahr 2030 sollten in Bremen und Bremerhaven 5.000 Ladepunkte zugänglich sein. Nach wie vor gebe es viele Lücken in der Ladeinfrastruktur.

Auf dem Gebrauchtwagenmarkt ist wieder ein bisschen Hoffnung aufgekommen, sagte Obermeister Hans Jörg Koßmann mit Hinweis auf ein kleines zweistelliges Plus zum Jahresstart. Die Jahresbilanz 2022 indes sei ernüchternd, denn die starken Einbußen hätten den Markenhandel doppelt getroffen. Gesunkener Marktanteil und ein kleineres Verkaufsvolumen seien ein Ergebnis der multiplen Mangellage.

Vom schwachen Neuwagenmarkt kämen aufgrund der gestörten Lieferketten immer weniger junge Fahrzeuge zum Gebrauchtwagenmarkt, vor allen von den Vermietern und den Eigenzulassungen von Herstellern und Handel. In einer solchen Situation wirkten die Prinzipien der Marktwirtschaft: Knappes Angebot und starke Nachfrage hätten die Preisspirale in Bewegung gehalten. Diese Entwicklung sei auch zum Jahresstart 2023 zu beobachten gewesen.

Privatmarkt wird
zum Profiteur

Profiteur sei vor allem der Privatmarkt, der bei Preis und Marktanteil zugelegt habe. Im Privatmarkt habe es einen Preisschub um 39 Prozent auf 13.990 (Vorjahr: 10.010) Euro gegeben. Der durchschnittliche Preis im Markenhandel sei um zehn Prozent auf 23.640 (Vorjahr: 21.250) Euro gestiegen und der Freie Markt habe 18.370 (Vorjahr: 14.470) Euro gemeldet. Dies sei ein Preissprung um 27 Prozent.

Deutliche Verschiebungen in den drei Teilmärkten: Verlierer sei der Markenhandel, der um zwei Prozentpunkte auf 38 Prozent abgerutscht sei. Der Freie Markt habe einen Prozentpunkt eingebüßt und bilanzierte noch 26 Prozent. Gewinner in einem „dramatischen Gebrauchtwagenjahr“ sei der Privatmarkt, der drei Prozentpunkte auf 36 Prozent Marktanteil zugelegt habe. Koßmann sagte in diesem Zusammenhang, aus dem insgesamt kleinen Angebot von gebrauchten Pkw seien auch ältere Fahrzeuge nachgefragt worden, die der Markenhandel nicht anbiete. Das durchschnittliche Alter im Markenhandel liege bei 4,6 (Vorjahr: 4,1) Jahren, im Privatmarkt nach Daten der DAT bei 8,2 (Vorjahr: 8,3) Jahren.

„Eine große und angenehme Überraschung“ habe der Service bereitet: 10,8 Prozent Umsatzplus auf jetzt 222 (Vorjahr: 200,4) Millionen Euro sei eine „nicht erwartete Größe“. Die Werkstattauslastung habe im Autojahr 2022 leicht unter 90 Prozent gelegen, obgleich die Bremerinnen und Bremer weniger das Auto genutzt hätten. Die Jahresfahrleistung liege bei 10.816 (Vorjahr: 11.029) Kilometern. Wartungsbedarf sei durch das auf 10,6 Jahre gestiegene Pkw-Alter entstanden. „Teure Unfallreparaturen“ seien deutlich gestiegen.

Bilanz der
Ausbildung

Eine gemischte Bilanz weise die Ausbildung aus. Licht und Schatten also, sagte Koßmann mit dem Hinweis, auf Pluszahlen für den kaufmännischen Bereich und Minuszahlen für den gewerblichen Bereich.

Das heiße im Detail: plus 7,1 Prozent auf 45 (Vorjahr: 42) neue Ausbildungsverhältnisse für Automobilkaufleute und 198 (Vorjahr: 204) neue Kraftfahrzeugmechatroniker/-innen. Zur Bilanz zählten wie im Vorjahr auch zwölf Zweiradmechatroniker der Fachrichtung Fahrradtechnik.

In Umfragen stehe der Beruf des Kfz-Mechatronikers auf der Beliebtheitsskala seit Jahren an erster Stelle der gewerblichen Berufe. Dies könne mit dem Produkt Automobil korrespondieren, es sei aber auch die Herausforderung moderner Technik. Junge Menschen sollten für die Berufe im Kfz-Gewerbe gute Schulnoten und Kenntnisse in Naturwissenschaften wie Mathematik oder Physik mitbringen. Denn selbst Kleinwagen hätten heute viel Hightech unter der Haube.  Koßmann nannte als ein Beispiel die Assistenzsysteme.

Hinzu kämen neue Antriebstechniken wie die von Elektroautos oder Hybridfahrzeugen oder der Brennstoffzelle. Im bremischen Markt gebe es zwei Brennstoffzellen-Fahrzeuge. Dieser schnelle technologische Fortschritt habe einen ständigen Ausbau der Ausbildungsinhalte zur Folge. Koßmann wörtlich: „Wir werden parallel arbeiten und folglich auch aus- und weiterbilden, denn der Verbrenner bleibt uns noch viele Jahre erhalten.“

„Die Perspektive für das laufende Jahr basiert auf einer vorsichtigen Prognose mit einigen Fragezeichen“, sagte Koßmann. Plus fünf Prozent bei den Pkw-Neuzulassungen sei möglich. Noch immer sei aber der Halbleitermangel im Fahrzeugbau nicht beseitigt, die Elektromobilität werde Stunden der Wahrheit erleben und die „globalen und nationalen Herausforderungen“ dauern an. Hohe Energiepreise, eine hohe Inflation und fragile Reallöhne dämpften das Kaufinteresse.

Talfahrt für die
Plug-In-Hybride

Die Talfahrt bei den Plug-In-Hybriden im Januar um rund 55 Prozent sei zum einen das Ergebnis fehlender staatlicher Förderung, zum anderen ein Warnsignal dahingehend, dass die Elektromobilität finanzielle Förderungen brauche. Ende August liefen die Förderungen für gewerblich genutzte Fahrzeuge komplett aus und für Privatkunden solle zum Jahreswechsel erneut der Rotstift angesetzt werden.

Koßmann forderte die Politik auf, das System der Innovationsprämie auf den Prüfstand zu stellen. Wenn die Politik die Elektromobilität als die Technologie für eine Mobilitätswende einstufe, müsse sie die Förderung neu austarieren. Durch die Transformation zu alternativen Antrieben werde individuelle Mobilität für viele Menschen teurer. Industrie und Politik müssten deswegen gemeinsam dafür sorgen, dass Mobilität auch im Zeitalter der alternativen Antriebe bezahlbar bleibe.

Bei allen Planungen für Straße und Schiene sollte nie vergessen werden, dass der Verkehrsträger Straße Vorteile habe. Dies zeige sich im hohen Transportaufkommen von Personen und Gütern. Der weitaus größte Teil der Güter werde mit dem Lkw transportiert, das höchste Personenaufkommen habe der Pkw. Und zum Abschluss ein Satz aus Wikipedia: Unangefochten steht in Deutschland der motorisierte Individualverkehr nach der Verkehrsleistung an der Spitze aller Verkehrsarten. Dies werde mit Blick auf den „Deutschland Takt“ der Schiene auch noch Jahrzehnte so bleiben.

Der Verkehrsraum dürfe daher nicht einseitig zu Lasten des Automobils verknappt werden.  „Ohne Automobil geht es nicht,“ sagte Koßmann mit Hinweis auf das steigende Pendler-Volumen. Bremen habe mit zunehmender Zahl von Berufspendlern zu tun. Den Daten des Statistischen Bundesamtes zufolge sei das Volumen der Ein-Pendler um 2,9 Prozent auf rund 124.000 gestiegen, dass der Aus-Pendler sogar um 5,2 Prozent auf etwa 53.000. Koßmann: „Im Zehn-Jahresvergleich beträgt das Plus der Ein-Pendler 15,9 Prozent.“

Es dürfe keinen Kulturkampf ums Automobil geben. Statt den Verkehrsraum einseitig zu Lasten des Kraftfahrzeugs neu aufzuteilen, brauche es ein intelligentes und verständnisvolles Miteinander aller am Straßenverkehr beteiligten.