Kfz-Gewerbe zwischen Krise und neuen Marken

Gaben die Bilanz 2023 und die Prognose 2024 bekannt (v.r.) Landespressesprecher Joachim Czychy, Präsident Karl-Heinz Bley und Geschäftsführer Christian Metje. Foto: ProMotor/nds

Unerwartet hohe Umsätze im Autojahr 2023 – Fast 30 Milliarden Euro umgesetzt - Starker Gebrauchtwagenmarkt - Service mit zweistelliger Steigerung – Schwache Pkw-Neuzulassungen, starke Lkw Verkäufe - Fragezeichen für Elektromobilität werden größer – Tempo der Transformation deutlich abgebremst - Zukunftsweisende Ausbildungsbilanz - Vorsichtige Erwartungen für das aktuelle Autojahr

Großburgwedel. Nach einem unerwartet umsatzstarken Jahr 2023 steht das Kraftfahrzeuggewerbe in Niedersachen vor unsicheren Zeiten. Die mittelständische Branche befürchtet einen starken Preis-Wettbewerb im Neuwagengeschäft mit „üppigen Nachlässen“ und einem „desolaten Elektromarkt“. Der Gebrauchtwagenmarkt werde für die Branche immer wichtiger. Der Service bleibt ein Leuchtturm, sagte Karl-Heinz Bley, Präsident des Kfz-Landesverbandes Niedersachsen-Bremen, vor Journalisten. In der Höhe unerwartet bilanzierte der Markt 29,1 Milliarden Euro Umsatz im Geschäft mit neuen und gebrauchten Pkw und Lkw sowie dem Service. Erfreulich sei zudem eine stabile Beschäftigungslage und eine positive Ausbildungsbilanz. 2024 werde ein anspruchsvolles Autojahr mit Umsatzverlusten. Das Kfz-Gewerbe habe Chancen, aber auch größere Risiken, sagte Bley mit den Worten „wir bewegen uns zwischen Krise und neuen Marken“. Die Krise betreffe vor allem die Elektromobilität.

Im Gesamtumsatz des niedersächsischen Automarktes stehe eine neue Rekord-Marke: 29,1 Milliarden Euro. 12,3 Milliarden Euro für das Neuwagengeschäft, 12,2 Milliarden Euro für den Markt für gebrauchte Pkw. Der Service weise 3,3 Milliarden Euro aus und das Geschäft mit neuen und gebrauchten Lkw habe 1,3 Milliarden Euro erreicht. Bley erklärte den Umsatzsprung mit den Steigerungen bei Pkw- und Lkw-Zulassungen und Pkw- und Lkw-Umschreibungen und einem gestiegenen durchschnittlichen Pkw-Preis von 44.850 Euro.

Kennzahlen des Automarktes 2023 in Niedersachsen weichten zum Teil deutlich von der allgemeinen bundesweiten Entwicklung ab. So sei der Neuwagenmarkt lediglich um 2,9 Prozent gewachsen, bundesweit habe es 7,3 Prozent Plus gegeben. Diese Umsatzzahlen spiegelten aber nicht die vollständige automobile Realität wider. Ein nicht unerhebliches Volumen des Neuwagenabsatzes stammte aus 2022.

Bis in das Jahresende 2023 hinein nämlich seien Auftragsbestände „abgearbeitet worden“. Bley: „Ein Zerrbild“. Es habe zudem hohe Eigenzulassungen gegeben.

Verbrenner weisen den Angaben von Bley zufolge einen Anteil an allen Neuzulassungen nahezu 60 Prozent aus, die E-Mobilität bilanzierte rund 25 Prozent. Dies seien 158.217 Diesel und Benziner auf der einen und 68.009 Stromer (BEV) und Plug-in-Hybride (PHEV) auf der anderen Seite. Im Gebrauchtwagenmarkt sehe es düsterer aus, sagte Landespressesprecher Joachim Czychy. Die gebrauchten Stromer hätten einen Anteil von 2,3 Prozent und die Plug-in-Hybride von 1,5 Prozent. Mit Hinweis auf einen 91,9-prozentigen Anteil der Verbrenner sagte er: „Diesel und Benziner waren die Gebrauchtwagen-Lieblinge im Autojahr 2023.“

Ein trauriges Kapitel des Autojahres 2023 sei die Elektromobilität, formulierte Präsident Bley. Die Politik habe ohne Ankündigung zum 18. Dezember eine Vollbremsung des Umweltbonus hingelegt, nachdem bereits im Jahresverlauf gewerbliche Fahrzeuge von der staatlichen Förderung ausgenommen worden waren. Die Fragezeichen hinter den von der Politik gesetzten Zielen würden größer.

E-Auftragseingänge
deutlich im Minus

Anhaltend hohe Stromtarife an den öffentlichen Ladesäulen bremsten den Umstieg zur Elektromobilität. Zudem blieben die „drei großen Hürden“: Preis, Ladeinfrastruktur und Reichweite. Ob die neue Generation der E-Pkw die „ehrgeizigen Ziele der Politik“ stützen könne, müsse abgewartet werden. Es gebe ein hohes Maß an Skepsis. Bley: „Bis E-Pkw den gleichen Preis wie Fahrzeuge mit Benzin oder Diesel zu haben sind, wird es noch dauern.“ Er verwies in diesem Zusammenhang auf eine Befragung des Zentralverbandes, die im Handel zum Jahresstart „desolate Auftragseingänge mit 50 Prozent minus“ gezeigt hätten.

Er sagte in diesem Zusammenhang, die von der EU gesetzten Ziele für die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs seien unrealistisch. Heute gebe es in Niedersachsen 1,2 Prozent der Lastwagen mit Batterie, bei den Sattelzugmaschinen seien es 0,03 Prozent. Bis zum Jahr 2039 klimaneutrale Bilanzen für die Lastwagen zu fordern sei „eine weitere illusorische Vorgabe“. Es spielten so viele verschiedene Variablen eine Rolle, um „grüne Lastwagen im Markt“ zu erreichen. Als Beispiel nannte er die Ladeinfrastruktur und die im Fernverkehr zu erreichten Ziele.

Privatmarkt
der Verlierer

Dynamisch sei der Gebrauchtwagenmarkt im vergangenen Jahr mit monatlichen Steigerungen von 1,5 bis 16,3 Prozent verlaufen, berichtete Joachim Czychy. Gewinner sei der Fachhandel, Verlierer der Privatmarkt. Von den 655.846 (Vorjahr: 608.376) Besitzumschreibungen seien 465.651 (Vorjahr: 389.361) Verkäufe im Fachhandel erfolgt und 190.195 (Vorjahr: 219.015) im Privatmarkt. Letzterer habe 13,1 Prozent eingebüßt. Der Verkauf Privat an Privat habe aufgrund eines schwachen Angebots ein „historisches Tief“ bilanziert.

Der Markenhandel habe trotz eines Verlustes von einem Prozentpunkt im Marktanteil (37 Prozent) um 5,1 Prozent auf 242.663 (Vorjahr: 231.183) Umschreibungen zugelegt. Der reine Gebrauchtwagenhandel habe 222.988 (Vorjahr: 158.178) Halterwechsel bilanziert und im Marktanteil acht Prozentpunkte auf 34 Prozent gewonnen. Czychy sagte, ein Grund für das Plus im reinen Gebrauchtwagenhandel seien die Kündigungen im Markenhandel. Wörtlich: „Wer als Unternehmer seine Marke verliert, verschwindet nicht aus dem Automarkt“. Diese Entwicklung werde sich fortsetzen.

Preise für neue
Pkw gestiegen

Der neue durchschnittliche Preis von 44.850 (Vorjahr: 43.110) Euro für einen neuen Pkw resultierte aus dem gestiegenen Anteil der E-Fahrzeuge und durch erneute Verschiebungen in den Marktsegmenten und höheren Einkaufspreisen. Der Trend zum neuen SUV sei ungebrochen. 43 (Vorjahr: 41,9) Prozent der Neuzulassungen seien kleine, kompakte, große und Luxus-SUV und Geländewagen. Im Gegensatz dazu habe es weniger Minis, Kleinwagen und Kompakte gegeben. Dies korrespondiere mit dem kleiner werdenden Angebot der Hersteller in den kleinen Pkw-Klassen.

Gesunken sei dagegen der durchschnittliche Preis eines gebrauchten Pkw: 18.660 Euro seien ein Rückgang um 2,5 Prozent. Im Markt gebe es eine große Bandbreite der Durchschnittspreise in den drei Teilmärkten, die vor allem aus dem Fahrzeugalter und der Fahrleistung resultierten. Der Markenhandel habe die jüngsten Gebrauchten mit einem hohen Preis von durchschnittlich 26.170 Euro, der Privatmarkt die Ältesten mit einem kleineren Preis von 12.550 Euro.

Der Service mit
starker Bilanz

Das zweite Jahr in Folge entwickelte sich der Service zum „Leuchtturm der Branche“, sagte Bley mit Hinweis auf das Umsatzplus von 17,2 (Vorjahr: 10,4) Prozent auf 3,3 (Vorjahr: 2,8) Milliarden Euro. Die Wartungshäufigkeit sei gestiegen, ebenso die Kosten. Diese betrügen aktuell 357 (Vorjahr: 329) Euro. Die Arbeit an Elektro-Fahrzeugen sei heute bereits Alltag. Das Know-how und die technischen Voraussetzungen für die Arbeit an Hochvolt-Fahrzeugen seien in Niedersachsen flächendeckend vorhanden. Indes wachse das Volumen der E-Fahrzeuge langsam. Bley: „Unsere Betriebe sind bereit für E-Autos“.

Marken- und Freie Betriebe teilten sich den Markt. 48 Prozent des Wartungsvolumens erledigten die Markenbetriebe, 47 Prozent die Freien und 5 Prozent würden „Do-it-Yourself“ durchgeführt. Der Service verzeichne einen Rückgang der Hobby-Bastler, die 2022 noch 11 Prozent der Wartungsarbeiten erledigt hätten.

Aufgrund des weiter zunehmenden Fahrzeugalters und eines immer noch steigenden Bestands sieht Bley weiterhin gute Umsatz- und Ertragsaussichten. In einer Befragung erwarten rund 33 Prozent der Kfz-Betriebe eine sinkende Auslastung. Die Mehrheit jedoch sehe die Zukunft positiv und das stimmt in einem schwierigen Umfeld zuversichtlich.

Auf der Habenseite der Jahresbilanz steht den Worten Bleys zufolge die Ausbildung. 7,8 Prozent mehr Ausbildungsverträge für den Kraftfahrzeugmechatroniker-/in seien „höchst erfreulich“ mit Blick „auf die Pisa-Studie und ein insgesamt marodes Bildungssystem“. Dies zeige sich auch in Defiziten der Berufsorientierung. Mit einer stabilen Bilanz für den Automobilkaufmann/frau könne man von einer zukunftsweisen Ausbildungsbilanz sprechen.

Vorsichtige
Prognosen

Der Blick in das aktuelle Autojahr sei trotz „großer Vorsicht von einer verhaltenen Zuversicht“ bestimmt. Dies setze auch voraus, dass zwei brancheninterne Herausforderungen gemeistert würden. Hier stehe zum einen die Transformation der Vertriebssysteme hin zum Agenturgeschäft auf der Tagesordnung und die europäische Antwort auf die Frage, wem die Autodaten gehören.

Lege man den Servicemarkt zugrunde, seien fast die Hälfte der Marktteilnehmer stark benachteiligt. Freie Betriebe seien im Nachteil, weil sie keinen Zugang zu den von den Herstellern erhobenen Daten hätten. Bley sagte, eine Monopolisierung dieser Daten müsse verhindert werden.

Mit Fragezeichen behaftet seien die neuen chinesischen Marken, die verstärkt und zum Teil mit hohen Nachlässen den Pkw-Markt erobern wollten. Die neuen chinesischen Marken seien für viele Autohändler interessant, weil sie ein attraktives Modellprogramm, günstige Preise und schnelle Verfügbarkeit böten. Ein großes Fragezeichen sei das Aftersales-Geschäft: Wie steht es um die Ersatzteile, technische Daten, Reparaturinformationen und Garantiefragen? Das Ende Februar in Bremerhaven eingetroffene chinesische Transportschiff mit neuen E-Modellen sei indes mehr als ein Bote der künftigen Elektromobilität.

Die „sehr vorsichtige Prognose“ für das aktuelle Autojahr lasse zwischen 265.000 und 285.000 Pkw-Neuzulassungen und 680.000 Pkw-Besitzumschreibungen erwarten. Der Service werde mit Blick auf den Bestand und die längere Nutzungsdauer der Fahrzeuge „auf hohem Niveau stabil bleiben“. Das Neuwagengeschäft leide weiterhin unter einer Schwächephase der privaten Nachfrage. Wachsende Bevölkerungskreise könnten und wollten sich Neuwagen nicht leisten. Bley abschließend: „Bezahlbare Mobilität, ob mit Verbrenner oder Elektro, ist unsere Forderung der Stunde“.