Kfz-Bilanz 2022: Von Normalität keine Spur

Gaben die Bilanz 2022 und die Prognose 2023 bekannt: (v.l. Landespressesprecher Joachim Czychy, Präsident Karl-Heinz Bley und Geschäftsführer des Verbandes Christian Metje. Foto: kfz-betrieb/Holger Zietz

Gesamtumsatz in Niedersachsen steigt auf fast 27 Milliarden Euro - Anteil des Kfz-Gewerbes bei rund 75 Prozent - Schwacher Privatmarkt bei Neuzulassungen - Gebrauchtwagenmarkt verliert fast 130.000 Umschreibungen – Durchschnittliche Preise stark gestiegen – Deutlich kleinere Kredit-Finanzierung - „Stunde der Wahrheit“ für E-Mobilität - Auf der Habenseite: Umsatzrendite, Service und Ausbildung - Vorsichtige Prognosen für 2023

Großburgwedel. Kleine Atempause für das Kraftfahrzeuggewerbe, aber von automobiler Normalität noch keine Spur. Nach dem turbulenten Autojahr 2022 steht die mittelständische Branche in Niedersachsen vor enormen Herausforderungen. Vor allem die Handelslandschaft könne sich deutlich verändern. Das Autojahr 2022 habe die Branche indes besser als befürchtet bewältigt, sagte Karl-Heinz Bley, Präsident des Kfz-Landesverbandes Niedersachsen-Bremen, vor Journalisten am Verbandssitz in Großburgwedel. Der Gesamtumsatz im niedersächsischen Markt sei trotz eines um 13 Prozent kleineren Absatzvolumens auf 26,9 (Vorjahr: 25,4) Milliarden Euro gestiegen. Der Grund: spürbar höhere Preise für neue und gebrauchte Pkw. 874.282 Autokäufe, davon 265.906 Neuwagen, weise die Jahresbilanz aus, die mit der E-Mobilität einen klaren Gewinner und dem Gebrauchtwagenmarkt den Verlierer habe. „Wie ein Leuchtturm“ rage aus der Jahresbilanz die Umsatzrendite vor Steuern heraus, die von 1,6 Prozent auf 3,1 Prozent vor Steuern gestiegen sei.

„Die hohen Preise haben dem Kfz-Gewerbe höhere Erträge und Umsätze beschert,“ sagte Bley mit Hinweis auf „eine andauernde Preisdynamik“. Der Gesamtumsatz gliedere sich in 11,5 (Vorjahr: 10,1) Milliarden Euro für den Neuwagenmarkt und 11,4 Vorjahr: 11,5) Milliarden Euro für das Geschäft mit gebrauchten Pkw. Mit neuen Lkw sei ein Umsatz von 708,9 (Vorjahr: 720,4) Millionen Euro erreicht worden, mit gebrauchten Lkw 476,8 (Vorjahr: 494,8) Millionen Euro. „Ein zweiter Leuchtturm nach der Umsatzrendite in der Umsatz-Tabelle“ sei der Service, der um 10,4 Prozent auf 2,8 (Vorjahr: 2,5) Milliarden Euro zugelegt habe. Der Anteil des Kfz-Gewerbes am Gesamtumsatz liege bei 74,8 Prozent. Der Grund: Bei den Neuzulassungen seien die Hersteller noch im Geschäft und im Gebrauchtwagenmarkt realisierte der Privatmarkt etwas mehr als ein Drittel aller Besitzumschreibungen.

Erwartungsgemäß sei das Absatzvolumen von neuen Verbrennern - Benziner und Diesel - auf 155.811 (Vorjahr: 171.390) Neuzulassungen gesunken, während das Segment der alternativen Antriebe - Elektro, Hybrid, Brennstoffzelle und Gas – auf 110.018 (Vorjahr: 98.117) Verkäufe zugelegt habe. Bley verwies darauf, dass das Autojahr 2022 sieben positive und fünf negative Monate erleben musste. Unverändert hätten unterbrochene Lieferketten die Neuwagenproduktion gestört und „das Handelsgeschäft nachhaltig belastet“.

Dies habe sich dramatisch im Gebrauchtwagenmarkt ausgewirkt, der um 17,2 Prozent auf 608.376 (Vorjahr: 735.132) Besitzumschreibungen nach zehn negativen Monaten eingebrochen sei. Dies sei ein Verlust von fast 127.000 Verkäufen. Nicht allein das Marktvolumen sei rückläufig, auch die Marktanteile für den Marken- und den Freien Handel hätten eingebüßt. Der Markenhandel habe 231.183 (Vorjahr: 294.053) Gebrauchte verkauft, der Freie Handel 158.178 (Vorjahr: 203.346) Einheiten. Gewinner sei der Privatmarkt, der mit 219.015 (Vorjahr: 242.593) Verkäufen seinen Marktanteil auf 36 Prozent ausgebaut habe. Der Markenhandel weise 38 Prozent aus, der Freie Handel 26 (Vorjahr: 27) Prozent und der Privatmarkt 36 (Vorjahr: 33 Prozent.

Die Umsätze mit gebrauchten Pkw von insgesamt 11,5 Milliarden Euro gliederten sich in 5,5 Milliarden Euro im Markenhandel, 2,9 Milliarden im Freien Handel und 3,1 Milliarden im Privatmarkt. Letzterer habe vor allem vom knappen Angebot im Fachhandel profitiert und folglich auch an der Preisschraube gedreht. Mit fast 40 Prozent plus auf durchschnittlich 13.990 Euro für einen Gebrauchten sei der Privatmarkt der Spitzenreiter. Im Markenhandel sei der Preis um rund 11 Prozent auf 23.640 Euro gestiegen und im Freien Handel um 27 Prozent auf 18.370 Euro, berichtete Landespressesprecher Joachim Czychy.

Nebenrolle für
die E-Mobilität

„Nur eine Nebenrolle“ spiele die Elektromobilität im Geschäft mit gebrauchten E-Fahrzeugen, sagte er. Die Jahresbilanz 2022 weise 10.046 vollelektrische (BEV) Gebrauchte und 6.473 Plug-In-Hybride (PHEV) aus. Dies sei ein Anteil von 2,7 Prozent an allen Besitzumschreibungen, während im Neuwagenmarkt 28,9 Prozent E-Pkw seien. Viele Elektroautos seien zwar erst vor kurzer Zeit auf die Straße gekommen und würden also nicht schon wieder weiterverkauft - und wenn, dann häufig ins Ausland nach Ablauf der Haltefrist für die Umweltprämie. Dieser verlockenden Möglichkeit habe der Gesetzgeber jetzt einen Riegel vorgeschoben, denn die Haltedauer der staatlich geförderten Fahrzeuge sei auf zwölf Monate erhöht worden.

Czychy sagte in diesem Zusammenhang, die seit Jahresbeginn reduzierten Förderungen hätten bis Dezember 2022 zu einem Höchstmaß taktischer Zulassungen mit dem Ergebnis geführt, dass es ein „Überangebot an gebrauchten E-Pkw“ gebe. Dies habe auch zu preislichen Erholungen zum Jahresstart geführt.

Neue Pkw kosten
jetzt 43.110 Euro

Der Preisanstieg bei neuen Pkw um 13,6 Prozent auf 43.110 Euro sei vor allem dem Absatzvolumen der E-Pkw und einem erneut gestiegenen Anteil der SUV zuzuschreiben. Auch das Luxus-Segment habe gewonnen, während die Klassen der Minis, Klein- und Kompaktwagen verloren hätten. Bley sagte, das liege auch an einem immer kleiner werdenden Angebot. Die Industrie reduziere das sogenannte A-Segment, weil die Deckungsbeiträge bei Kleinwagen wegen der hohen Entwicklungs- und Produktionskosten gering seien.

Deutlich geringer sei das Kreditvolumen, das private Käufer für neue und gebrauchte Pkw in Anspruch genommen hätten. Auf 14.550 (Vorjahr: 17.300) Euro sei der Kredit gesunken. Dies seien rund 17 Prozent weniger als im Vorjahr. Bei der Inzahlungnahme des sogenannten Vorbesitzes habe der Käufer eines neuen Pkw 10.700 (Vorjahr: 8.100) Euro erzielt, rund 30 Prozent mehr als im Jahr 2021. Der Rest seien Ersparnisse von 12.400 (Vorjahr: 8.000) Euro und Geschenke. Für den Autokauf sei also mehr angespart worden. Zudem hätten die hohen Gebrauchtwagenpreise den Kauf erleichtert. Total sei dies eine Kreditsumme beim Neuwagen-Kauf von 700 Millionen Euro nach 1,1 Milliarden.

Ähnlich sehe es bei Gebrauchtwagen aus. Der prozentuale Anteil des Kredits am Kaufpreis sei um fünf Prozentpunkte auf 37 Prozent gesunken. Insgesamt resultiere daraus ein Kreditvolumen von 2 Milliarden Euro nach 2,3 Milliarden im Jahr 2021. Dieses Finanzierungsvolumen stehe vor einer gesamten Kaufsumme von privaten Kunden für neue Pkw von 2,1 Milliarden Euro und 5,3 Milliarden Euro für den Gebrauchtwagenerwerb. Total hätten Privatkäufer 7,4 (Vorjahr: 7,9) Milliarden Euro für den Autokauf ausgegeben.

Drei Hürden für
einen Umstieg

Für die Elektromobilität habe die Stunde der Wahrheit begonnen, denn mit gestrichener oder gekürzter staatlicher Förderung werde die Kauflaune spürbar getrübt. Die um bis zu 60 Prozent eingebrochenen Marktdaten für Plug-In-Hybride zum Jahresstart seien „ernste Hinweise, dass die staatlichen Förderungen für die E-Mobilität insgesamt auf den Prüfstand müssen“.

Ende August laufe nämlich die Förderung für gewerblich genutzte Fahrzeuge komplett aus und für Privatkunden solle zum Jahreswechsel erneut der Rotstift an der Innovationsprämie angesetzt werden.

Auch die Nutzung der E-Fahrzeuge habe vor dem Hintergrund deutlich gestiegener Strompreise an Attraktivität verloren. Bley erwartet vor allem bei den Flotten „eine Heimkehr zum Diesel“. Es bleibe dabei, dass die Fahrzeugpreise, Reichweiten und Lademöglichkeiten die hohen Hürden für einen Umstieg auf die E-Mobilität seien. In diesem Zusammenhang verwies Bley darauf, dass die Ladeinfrastruktur noch immer nicht das Tempo umsetze, das politisch gefordert werde. Aktuell gebe es in Niedersachsen für rund 150.000 E-Pkw etwa 8.000 Ladepunkte. Das Ziel seien aber 90.000 Ladepunkte bis zum Jahr 2030. Bley: „Stand heute haben wir etwa 9 Prozent erreicht. Das ist deutlich zu wenig“. Zukunftsweisend ist das Tempo bei den Schnellladern, deren Anzahl um 107 Prozent auf 1.413 gestiegen sei.

Service wieder auf
Vorkrisen-Niveau

Das Servicegeschäft habe sich nach Jahren der Einbußen nicht nur erholt, sondern sei auf das Niveau der krisenfreien Jahre bis 2019 gestiegen. 10,4 Prozent plus beim Umsatz sei eine „unerwartete Marktgröße“. Selbst der Jahresstart 2023 liege mit einer Werkstattauslastung von 84 Prozent über dem Vorjahr. Die Service-Bilanz 2022 weise eine um fünf Prozentpunkte auf durchschnittlich 85 Prozent gestiegene Werkstattauslastung aus. Die Kosten für Wartung und Reparatur seien leicht gestiegen, kräftige Steigerungen habe es im Geschäft der Unfallreparatur gegeben.

Spürbar in der „Umsatzentwicklung nach oben“ seien die Unfallreparaturen mit einer Zunahme von „etwas über 20 Prozent“. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung seien die hochpreisigen Schäden, deren Anteil von 11 auf 17 Prozent gestiegenen sei. Bley verwies in diesem Zusammenhang auf „immer aufwändigere Scheinwerfersysteme“.

Verluste im Geschäft
mit Nutzfahrzeugen

Einbußen habe es im Geschäft mit Nutzfahrzeugen gegeben. 4,9 Prozent minus für neue Nutzfahrzeuge und 12,8 Prozent Rückgang für gebrauchte Lastwagen stünden in der KBA-Statistik. In diesen Marktzahlen spiegele sich die schwache Konjunktur in Deutschland wider. In diesem Zusammenhang kritisierte Bley die EU-Ziele zur CO2-Reduzierung für Nutzfahrzeuge.

Die EU setzte überehrgeizige Ziele für Null-Emissions-Lkw, bevor auch nur annähernd klar sei, ob die notwendigen Grundlagen für deren Verbreitung in Europa entstehen könnten. Gerade die so wichtige Tank- und Ladeinfrastruktur für emissionsfreie schwere Nutzfahrzeuge stecke in den Kinderschuhen. Vernünftiger wäre es daher, sich in den kommenden Jahren auf die unmittelbaren Herausforderungen zu konzentrieren und Flottenziele für die 2030er Jahre erst später festzulegen.

Ausbildungsmarkt
zeigt sich stabil

Auf der Habenseite der Bilanz stehe der Ausbildungsmarkt im Kraftfahrzeuggewerbe, sagte Bley. Die aktuelle Ausbildungsbilanz für Niedersachsen zeigte ein stabiles Bild. Mit einem kleinen Rückgang von 0,8 Prozent nach einer Steigerung um 15,7 Prozent im Jahr 2021 hätten die Kfz-Mechatroniker/-innen ihre Position behauptet. Dies sind 2.373 junge Menschen, die den Service mit dem Automobil zum Beruf machen wollen. „Gut zugelegt“ haben mit einem Plus von 11,8 Prozent auf 513 Ausbildungsplätze die Automobilkaufleute. Die Ausbildungsbilanz wird mit 81 (Vorjahr: 102) Zweiradmechaniker der Fachrichtung Fahrradtechnik und 39 (Vorjahr: 39) Zweiradmechatroniker der Motorrad-Technik komplettiert.

Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe, wie Bley ergänzte, trotz wachsender Herausforderungen „einen spannenden Arbeitsplatz, der die alte Welt der Verbrenner und die neue Welt der Alternativen parallel bewältigt“. Schon heute sei die Elektromobilität Alltag in den Kfz-Meisterbetrieben. Gute Ausbildung, wie sie im Kfz-Gewerbe praktiziert werde, sei „das Mittel gegen den Fachkräftemangel heute und morgen“.

E-Fuels für
den Bestand

Das Kfz-Gewerbe unterstützte und fördere den Wandel zu einer emissionsarmen und vernetzten Mobilität, aber keine technologischen Alleingänge. Zweifel derart dürften geäußert werden, ob der E-Alleingang der Königsweg sein solle. Deswegen fordere das Kraftfahrzeuggewerbe mit allem Nachdruck, dass synthetische Kraftstoffe für Verbrenner in „alle Überlegungen zur Verkehrs- und Klimawende einfließen“. Die neuen politischen Initiativen mit Einbeziehung synthetischer Kraftstoffe sei ein wichtiger und richtiger Weg in die Klimawende. E-Fuels trügen zu einer umweltfreundlichen Mobilität bei. Sie böten eine Zukunft für Verbrennungsmotoren, denn eines sollte die Politik erkennen, dass das Aus für den Verbrenner ab 2035 keine globale Klima-Maßnahme sei. Jenseits der EU-Grenzen werde es auch nach 2035 Diesel und Benziner geben, deren Emissionen nicht an der EU-Grenze Halt machten.

Nach den Ergebnissen des Autojahres habe „das Kraftfahrzeuggewerbe wieder etwas Luft zum Atmen getankt“. Mit Blick auf die wachsenden Herausforderungen sei dies nötig, denn neben den konjunkturellen Unsicherheiten durch weiterhin gestörte Lieferketten werde die Herstellerplanung mit neuen Vertriebsformen die Branche belasten. Die wachsenden Beratungsleistungen des Handels müssten in den Vergütungsregelungen vollständig ihren Niederschlag finden, gleich welche Vertriebsform realisiert werde.

Hoher Auftragsbestand,
Auftragseingang im Minus

Die Neuregelungen der Vertriebsformen erzeuge Unruhe in einer Marktphase, die alle Kräfte fordere. Bley: „Wir fahren noch nicht in der Normalspur“. Belastend seien auch die steigenden Listenpreise, die unverändert langen Lieferzeiten sowie massiv gestiegene Energiekosten. Letzteres löse eine Kaufzurückhaltung aus, die sich zum Jahresstart auch in einer hohen zweistelligen Minusquote für den Auftragseingang gezeigt habe. Bley: „Noch leben wir von einem hohen Auftragsbestand.“ Handel und Verbraucher warteten auf „bezahlbare-E-Automobile“.

Der Verband erwarte für das laufende Autojahr bei den Pkw-Neuzulassungen ein kleines Plus um „etwa vier Prozent auf 275.000“ Erstzulassungen. Das unverändert von der Lage auf der labilen Produktionsseite durch den Halbleitermangel abhängige Gebrauchtwagengeschäft müsse „einen Weg der Konsolidierung“ einschlagen. Zum Jahresstart sei dies mit Zuwächsen um drei Prozent gelungen. 620.000 Pkw-Besitzumschreibungen „sind eine ambitionierte Prognose“. Es gebe im Markt unterschiedliche Auffassungen, ob die Talsohle durchschritten werden könne.

Die Branche schaue gespannt auf das Frühjahrsgeschäft, das erste Hinweise geben könne, ob die Normalspur für die Fahrt im Autojahr 2023 wieder in Sichtweite kommen könne. Umfragen in der Branche zeigten „höchst gegenläufige Erwartungen“. Auch das „emotionale Umfeld der individuellen Mobilität spiele eine große Rolle“. Der Verkehrsraum dürfe nicht einseitig zu Lasten des Automobils eingeschränkt werden, sagte Bley abschließend mit der Ergänzung, „dass es unverändert eine Partnerschaft der Verkehrsträger und -systeme geben muss“.